Videoüberwachung am Arbeitsplatz: €15.000 Schmerzensgeld wegen rechtswidriger Dauerüberwachung --- LAG Hamm, Urteil vom 28.05.2025 – 18 SLa 959/24


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Videoüberwachung am Arbeitsplatz: €15.000 Schmerzensgeld wegen rechtswidriger Dauerüberwachung LAG Hamm, Urteil vom 28.05.2025 – 18 SLa 959/24

Die zunehmende Digitalisierung hat auch die Überwachungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz drastisch erweitert. Moderne Videoüberwachungssysteme ermöglichen es Arbeitgebern heute, nahezu jeden Quadratmeter ihrer Betriebsräume permanent zu überwachen. Doch wie weit dürfen Arbeitgeber gehen? Mit seinem aktuellen Urteil zur Videoüberwachung am Arbeitsplatz vom 28.05.2025 hat das Landesarbeitsgericht Hamm eine klare Grenze gezogen und einem Produktionsmitarbeiter eine Geldentschädigung in Höhe von €15.000 zugesprochen. Dieses Urteil ist ein wichtiges Signal – nicht nur für Arbeitnehmer, sondern auch für Arbeitgeber, die sich über ihre datenschutzrechtlichen Pflichten nach der DSGVO bei Videoüberwachung im Klaren sein sollten.

 

1. Sachverhalt: Videoüberwachung am Arbeitsplatz im Stahlbetrieb

Der Fall betraf einen seit August 2020 bei einem Stahlverarbeitungsunternehmen beschäftigten Produktionsmitarbeiter. Das Unternehmen hatte in seiner 15.000 qm großen Betriebshalle Videokameras installiert. Diese Kameras zeichneten 24 Stunden täglich nahezu den gesamten Betriebsbereich, mit Ausnahme der Pausen-, Umkleide- und Sanitärräume, auf. Ein klassisches Beispiel für eine umfassende Videoüberwachung am Arbeitsplatz, die rechtlich schnell problematisch werden kann.

 

2. Die rechtliche Bewertung: Gerichtsurteil zur Videoüberwachung nach DSGVO

Sowohl das Arbeitsgericht Dortmund in erster Instanz (Urteil vom 13.09.2024 – 3 Ca 1093/24) als auch das Landesarbeitsgericht Hamm in zweiter Instanz bewerteten die Videoüberwachung als rechtswidrig und sprachen dem Kläger eine Geldentschädigung zu.
Dieses Gerichtsurteil zur Videoüberwachung am Arbeitsplatz verdeutlicht: Datenschutzrechtliche Vorgaben und Arbeitnehmerrechte dürfen nicht ignoriert werden.

 

a) Keine Anwendbarkeit des § 4 BDSG auf betriebsinterne Videoüberwachung

Das Gericht stellte zunächst klar, dass die erleichterten Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume gemäß § 4 BDSG im Streitfall nicht zum Tragen kommen.
Die Betriebshalle des Unternehmens ist kein öffentlich zugänglicher Raum. Öffentlich zugänglich sind nur solche Räume, die ihrer Zweckbestimmung nach von einer unbestimmten Anzahl oder nach nur allgemeinen Merkmalen bestimmten Personen betreten werden können. Bei der Betriebshalle handelt es sich hingegen um einen Arbeitsplatz, der nur von einem bestimmten und dem Arbeitgeber bekannten Personenkreis betreten wird. Der durch die Überwachung ausgelöste Anpassungsdruck ist hier deutlich stärker als in öffentlich zugänglichen Räumen.

 

b) Keine Rechtfertigung nach § 26 Abs. 1 BDSG – Videoüberwachung unzulässig

Auch die Vorschrift des § 26 Abs. 1 BDSG, die die Verarbeitung von Beschäftigtendaten zu bestimmten Zwecken erlaubt, konnte die Videoüberwachung nicht legitimieren.
Eine wirksame Einwilligung des Klägers lag nicht vor. Zwar hatte dieser im Arbeitsvertrag erklärt, mit der Verarbeitung personenbezogener Daten einverstanden zu sein. Diese Erklärung erfüllte jedoch nicht die Anforderungen an eine wirksame Einwilligung. Die Einwilligung war mit dem Abschluss des Arbeitsvertrages verknüpft und brachte dem Arbeitnehmer nur Nachteile. Es erfolgte keine Belehrung über das Widerrufsrecht gemäß § 26 Abs. 2 Satz 4 BDSG und die Einwilligung war nicht klar von den übrigen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen unterscheidbar (Art. 7 Abs. 2 Satz 1 DSGVO).
Selbst wenn man unterstellte, dass die Videoüberwachung der Durchführung des Arbeitsverhältnisses diente, wäre sie unverhältnismäßig gewesen. Das Gericht führte aus, dass die Grenze der Verhältnismäßigkeit jedenfalls dann überschritten ist, wenn die Videoaufzeichnungen einen solchen psychischen Anpassungs- und Leistungsdruck erzeugen, dass sie als eine der verdeckten Videoüberwachung vergleichbar eingriffsintensive Maßnahme anzusehen sind.
Dies war hier der Fall. Das Gericht stimmte dem Arbeitsgericht Dortmund daher zu, welches damals feststellte: „Der Kläger musste damit rechnen, während seiner Arbeitsleistung lückenlos ‚gefilmt zu werden." (Arbeitsgericht Dortmund, Urteil vom 13.09.2024 – 3 Ca 1093/24, Rz. 73)

 

c) Keine Rechtfertigung nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO

Auch die Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) rechtfertigen laut Gericht die Überwachung nicht. Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO erlaubt zwar die Datenverarbeitung zur Wahrung berechtigter Interessen, jedoch nur wenn diese Interessen die Interessen oder Grundrechte der betroffenen Person nicht überwiegen. Es hat hier daher immer eine Interessensabwägung zu erfolgen.

Die Beklagte führte verschiedene Gründe für die Videoüberwachung an:

  • Verhinderung von Diebstählen und Vandalismus
  • Dokumentation von Manipulationen an Maschinen
  • Arbeitssicherheit und Auswertung von Arbeitsunfällen
  • Nachverfolgung von Maschinenausfällen
  • Nachweis ordnungsgemäßer Verladung

Im Einzelnen könnte aber keiner dieser Gründe überzeugen. Das Gericht sah diese Rechtfertigungsgründe als zu pauschal und unsubstantiiert an.

Ein zentrales Problem des Vortrags der Arbeitgeberin war, dass sie keinerlei Zusammenhang zwischen einzelnen (behaupteten) Zwecksetzungen und bestimmten Kameras herstellte.

Das Arbeitsgericht kritisierte daher folgendes, und bekam dabei Zustimmung vom LAG Hamm:
„Die Beklagte zieht sich insoweit mit weit überwiegend – nach Bestreiten durch den Kläger – unsubstantiiertem Vortrag auf Allgemeinplätze zurück ohne irgendeinen Zusammenhang einzelner (behaupteter) Zwecksetzungen zu einer bestimmten Kamera herzustellen." (Arbeitsgericht Dortmund, Urteil vom 13.09.2024 – 3 Ca 1093/24, Rz. 76)

Die Beklagte blieb insbesondere eine Begründung schuldig, weshalb, die genannten Zwecke nicht mit weniger einschneidenden Maßnahmen umgesetzt werden konnten, den Arbeitnehmern nicht auch überwachungsfreie Räume während der Arbeitsleistung zugestanden werden sollten und eine flächendeckende Überwachung erforderlich war.

 

3. Die Geldentschädigung: Wie kam das Gericht zu dieser Summe?

Beide Instanzen sprachen dem Kläger eine Geldentschädigung in Höhe von €15.000 zu.

Nach ständiger Rechtsprechung hängt die Höhe einer Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts von mehreren Faktoren ab. Zum einen von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, zum anderen vom Anlass und Beweggründe des Handelnden und dem Grad des Verschuldens.

Das Gericht erkannte, dass frühere arbeitsgerichtliche Entscheidungen deutlich niedrigere Beträge zusprachen. Zum Beispiel das LAG Hessen (25.10.2010): €7.000 für dreimonatige Dauerüberwachung, das LAG Hamm (30.10.2012): €4.000 für 20-monatige Überwachung (15-20 Minuten täglich) sowie das LAG Mecklenburg-Vorpommern (25.05.2019): €2.000 für achtmonatige Überwachung.

Die Erhöhung im aktuellen Gerichtsurteil zur Videoüberwachung am Arbeitsplatz begründete das LAG Hamm mit zwei Aspekten: dem gesellschaftlichen Wandel seit Einführung der DSGVO und der besonderen Schwere des Eingriffs.

 

a) Zeitlicher Wandel und gestiegene Sensibilität seit Einführung der DSGVO

Das Arbeitsgericht führte in seinem Vorinstanzlichen Urteil hierzu folgendes aus:

„Der Datenschutz sowie die Sensibilität für Datenschutzverstöße und deren Sanktionen haben in der Gesellschaft erheblich zugenommen. Ein solcher Wandel vollzog sich spätestens mit dem Inkraftreten der DSGVO am 24.05.2016." (Arbeitsgericht Dortmund, Urteil vom 13.09.2024 – 3 Ca 1093/24, Rz. 101)

Seit Inkrafttreten der DSGVO hat sich das gesellschaftliche und rechtliche Bewusstsein für Datenschutz fundamental verändert. Arbeitgeber müssen heute deutlich sensibler agieren.

 

b) Besondere Schwere im vorliegenden Fall

Die Reichweite und tatsächliche Nutzung der Überwachung waren im vorliegenden Fall außergewöhnlich. Denn der Mitarbeiter hatte faktisch keine Möglichkeit, sich der Überwachung zu entziehen. Durch die Anordnung der Kameras waren selbst Pausen- und Toilettengänge zeitlich überprüfbar.

Die Vorinstanz stellte fest: „Dass dieses Vorgehen nicht im Ansatz mit den heutigen datenschutzrechtlichen Vorstellungen sowie Grundrechten in Einklang zu bringen ist, bedarf keiner weiteren Erläuterung." (Arbeitsgericht Dortmund, Urteil vom 13.09.2024 – 3 Ca 1093/24, Rz. 102)

 

4. Fazit und Ausblick

Das Urteil des LAG Hamm setzt ein klares Signal an Arbeitgeber: Eine flächendeckende, dauerhafte Videoüberwachung am Arbeitsplatz ist in aller Regel rechtswidrig und kann zu erheblichen Schadensersatzforderungen führen.

Wenn Sie als Arbeitgeber über die Einführung oder Aufrechterhaltung einer Videoüberwachung nachdenken:

Holen Sie rechtlichen Rat ein (idealerweise von einem auf Datenschutzrecht spezialisierten Anwalt). Im Urteil des LAG Hamm (Rz. 74) heißt es:
"Die Beklagte hat sich in eklatanter Weise über die Vorgaben des Datenschutzrechts hinweggesetzt. Anhaltspunkte dafür, dass sie hätte glauben dürfen, ihr Vorgehen seien rechtmäßig, sind nicht ersichtlich. Insbesondere hat die Beklagte nicht vorgebracht, sich vor der Installation der Kameraüberwachungsanlage datenschutzrechtlich beraten lassen zu haben."
Das Gericht führt also als erschwerendes Moment an, dass die Beklagte sich offenbar vor Installation des Systems nicht datenschutzrechtlich beraten ließ.

Erstellen Sie ein Überwachungskonzept, das die Verhältnismäßigkeit jeder einzelnen Kamera darlegt.

Informieren Sie transparent und umfassend.

Beteiligen Sie den Betriebsrat (falls vorhanden).

Überprüfen Sie regelmäßig, ob die Überwachung noch erforderlich ist.

Sprechen Sie uns gerne für eine individuelle Rechtsberatung zum Thema Videoüberwachung am Arbeitsplatz an.

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